Johannes Winkler als Triebwerks- und Raketenbauer der ersten Stunde

Aus der Literatur ergibt sich, dass vier Raketenpioniere fast gleichzeitig die ersten Brennkammern für flüssige Treibstoffe fertiggestellt habe. Es ist aber bekannt, dass von der Entwicklung von ersten Brennkammern zu Triebwerken mit Treibstoffbehältern, Zuleitungen, Ventilen und Kühlsystemen weitere Schritte notwendig waren. Viele Jahre sollten vergehen, bis tatsächlich eine erste Höhenrakete flugfähig war. Die Tage zwischen den erfolgreichen Brennkammerversuchen der einzelnen Raketenpioniere sind gering und taugen nur für eine Polemik zu der Frage, wer denn nun der erste gewesen ist. Nimmt man die bekannten Daten als Grundlage ergibt sich lt. Tabelle folgende Übersicht:

Namen Datum Treibstoffe Schub Erste Bemerkungen
Max Valier 4.3.1930 Benzin, fl. Sauerstoff 3.200 g Siehe folgende Ausführungen
Johannes Winkler 6.3.1930 Benzin, fl. Sauerstoff 2,6, kg Versuchsprotokoll v. 8.3.30
Rudolph Nebel, H. Oberth 23.7.1930 Benzin, fl. Sauerstoff Spaltdüse: 2,5 kg
Kegeldüse: max. 7.7.kg
Spaltdüse und Kegeldüse in Chemisch-technischer Reichsanstalt
R. Nebel, Klaus Riedel August 1930 Benzin, fl. Sauerstoff 0,4 bis 3,5 kg Erste Versuche in Bernstadt, keine Protokolle

Zu dieser Übersicht ist grundsätzlich zu sagen, dass keine Belege aus Bernstadt vorliegen, sondern die Eigendarstellung von Rudolf Nebel bzw. die Informationen von Günzel über Klaus Riedel verwendet wurden. Nach Aussage von K. Rohrwild liegen zu den Versuchen von Hermann Oberth neue Dokumente vor, die der Autor jedoch noch nicht auswerten konnte. Die Prioritätsfrage bleibt also spannend, ist aber letztendlich sekundär, da durch die Übersicht deutlich wird, dass sieben Jahre Diskussion, Konstruktion und Bauversuche seit der ersten Veröffentlichung von Hermann Oberth notwendig waren, um aus der Theorie Realität werden zu lassen! Für alle vier Gruppen/Personen waren die Betriebsstoffe Benzin und flüssiger Sauerstoff der Zugriff der ersten Wahl. Durch den verfrühten Übergang von Winkler zu flüssigem Methan bzw. Paraffin (Unfalltod von Valier) traten erhebliche Rückstände bei der Entwicklung leistungsfähiger Triebwerke auf.
Nachfolgend werden chronologisch einige Bemerkungen zu den Versuchen vorgetragen.

Max Valier

Zur eigenen Überraschung musste der Autor feststellen, dass Max Valier am 4.3.1930 der erste war, der erfolgreich eine Brennkammer getestet hat. Es kann vermutet werden, dass es vielen Lesern ähnlich ergeht, da sich die historischen Darstellungen über Max Valier zumeist auf seine Artikel über Raketenflugzeuge, Raketenautos und Raketenschlitten beziehen. Mit dem Beginn der Arbeit bei der Firma Heylandt begannen jedoch ernsthafte und belegbare Triebwerksversuche, die lt. Tabelle zu dem erfolgreichen Ergebnis führten. Welchen Anteil dabei Friedrich Sander und die dortigen Versuche von Valier hatten, ist gegenwärtig nicht feststellbar. Es kann nur erwartet werden, dass Olaf Przybilski seine Untersuchungen weiterführt.

Aus der Tabelle ergeben sich die folgenden Angaben, die im Band 1 des BoD fortgeführt werden. Dort sind auch die Fotos aus dem Archiv des DMM enthalten, die Max Valier bei seinen Versuchen mit Triebwerken und die Skizzen seiner Triebwerke zeigen.

Johannes Winkler in der Forschungsanstalt „Prof. Junkers“ bis 1931

Johannes Winkler folgte im September 1929 gern dem Ruf der Junkers-Werke zur Forschungsarbeit an Triebwerken mit flüssigen Brennstoffen. Erste Versuche in dieser Richtung hatte er bereits in Breslau in Abstimmung mit Hermann Oberth durchgeführt (Siehe Briefwechsel und seine Berichte in der Zeitschrift „Die Rakete“). Seine Triebwerksversuche und seine Ausgaben für die Zeitschrift „Die Rakete“ hatten ihn zu hohen Schulden verleitete.
Der Durchbruch gelang am 6.3.1930 in Dessau, wie er an Hugo A. Hückel berichtet. „Der Druck im Verbrennungsraum war absolut konstant, er folgte nur der Bewegung der Ventile. Der Rückstoß betrug ein Mehrfaches des Rückstoßergewichtes. Von einer Flamme war kaum etwas zu sehen, nur ein schwacher gelbgrünlicher Schein bis zehn Meter vor der Düse verriet, dass hier eine Verbrennung stattfand.“ Am 27.3. 1930 ergänzt Winkler: „Wir verwenden Benzin und Flüssigsauerstoff, die leicht im Handel zu haben sind und billig sind…“
Über weitere Ergebnisse seiner Forschungsarbeit dort berichtet er Hugo A. Hückel an mehreren Tagen wie folgt:
Am 3.10.1930 schreibt er an Hückel:
Dass Sie die Arbeiten des Vereins unterstützen, verstimmt mich in keiner Weise. Ich bewundere im Gegenteil Ihre großzügige Förderung, die Sie dem uns aufs Tiefste bewegenden Problem angedeihen lassen. Ich freue mich über jede Förderung, die unsere Sache erfährt. Zudem habe ich ja von allen Bearbeitern des Raumfahrtproblems zur Zeit weitaus die beste Möglichkeit, mich auszuwirken und gönne es jedem von Herzen, der Gelegenheit zu praktischer Arbeit findet. Trotz der Sparmaßnahmen hier bei den Werken, finden meine Wünsche jetzt eine viel weitgehendere Berücksichtigung als bisher, da die Arbeiten vollen Erfolg haben. Wir haben schon gegen 100 ausgezeichnete Druck- und Rückstoßdiagramme. Obwohl bei jedem Versuch etwas Neues gemacht wird, gelingen mindestens 90% aller Versuche. Kürzlich waren Herrn von der Werksleitung und andere hervorragende Persönlichkeiten bei den Versuchen zugegen.1
Am 28.2.31 wird deutlich, dass bei den Junkers-Werken nicht alles nach Winsch läuft. Winkler schreibt von anderen Treibstoffen. Gedanklich bereitete er sich aber bereits auf die Arbeitsgruppe mit Hugo A. Hückel vor. Darüber wird ausführlich im Band 2 berichtet.
„Ich erwiderte darauf, dass ich jeden Tag die Antwort auf mein Schreiben erwartete. Wir einigten uns nun in der Form, dass ich noch den ersten Großversuch machen sollte, der sich leider sehr verzögert hat, weil die hierfür benutzten Treibstoffe wesentlich teurer sind als Benzin und Sauerstoff und der Versuch deshalb aufs Allersorgfältigste auch in den Messeinrichtungen vorbereitet werden sollte. Gestern vor einer Woche hat der erste Versuch stattgefunden, der trotz sorgfältigster Vorbereitung und gründlicher Vorversuche nicht ganz befriedigte, indem er statt 300 k nur 120 kg Schub lieferte.“

Rudolf Nebel und Klaus Riedel entwickeln bei Hermann Oberth die Kegeldüse

Hermann Oberth schildert in einem Brief an Johannes Winkler am 18.10.1929 die Entstehung der Spaltdüse und der Kegeldüse. (Siehe dann auch Band 1 des BoD.)
Zur Kegeldüse liegen aus dem Artikel von Rohrwild auf Seite 36 mehrere Zeichnungen vor, die verdeutlichen, dass es keine Originalunterlagen gibt und daher die Bedeutung der Scherschewsky-Mappe von Langguth als bisher einzige Quelle unterstreichen.

Es kann unterstellt werden, dass zu den Düsen von Oberth durch seine Mitarbeiter zahlreiche Zeichnungen entstanden sind, über die jedoch nicht mehr verfügt werden kann. Die detailreichste Zeichnung stammt von Scherschewsky. Aber auch aus dieser Zeichnung wird nicht ersichtlich, wie die Zündung des Gasgemisches erfolgen sollte.
Die Kegeldüse hat nach Überlegungen von Herrn Rohrwild am 24. oder 25.9.1929 das erste Mal gebrannt.2 Es liegen dabei aber keine Aussagen über den Schub und die Dauer des Schubes vor. Sie hatte ein Gewicht von ca. 1,5 kg und eine Länge von 256,5 mm. Die Wandung bestand aus 7 mm starkem Atlas-Stahl. Im Inneren war eine 2 mm starke Kupferstich elektrolytisch und darauf eine 5 mm starke Graphitschicht aufgebracht. Die Kegeldüse verbrauchte pro Sekunde ca. 280 g flüssigen Sauerstoff und 80 g Benzin. Die Einspritzung erfolgte durch 2 eingeschraubte zentrifugale Spritzdüsen im spitzen Winkel zueinander.

Quelle: Zeichnung von K. Rohrwild aus seinem Artikel zur Kegeldüse 2004

Während der Abwesenheit von Hermann Oberth bereiteten Rudolf Nebel und Klaus Riedel eine Kegeldüse vor, gewannen Dr. Ritter für einen Test und luden Oberth dafür ein. Der Test fand am 23.7.1930 in der Chemisch-technischen Reichsanstalt statt.
Bei dem amtlichen Test in der Chemisch-Technischen Versuchsanstalt erreichte die Kegeldüse in den ersten 50,8 sec. einen Schub von 7 kg, dann über weitere 45,6 sec. einen Schub von 6 kg. Darüber stellt Dr. Ritter ein Zeugnis aus, das den Weg zum Raketenflugplatz Tegel ebnete.3 Eine Versuchsanordnung ist nicht enthalten.
Auf die näheren Umstände und Folgen der Testung wird im Band 1/Teil 2 des BoD der Studie näher eingegangen.

Rudolf Nebel und Klaus Riedel entwickeln neue Brennräume und Triebwerke für die Mirak und den Prüfapparat Repulsor (Vierstaber)

In Bernstadt wurde mit der Mirak 1 im August 1930 ein Rückstoß von 400 Gramm erreicht, der auf 3,5 Kilogramm gesteigert werden konnte, wie Günzel berichtet. Es sollen damit ca. 140 Versuche durchgeführt worden sein. Beim offiziellen Start am 7.9.1930 explodierte sie jedoch. Eine Starterliste oder andere Unterlagen sind bisher nicht überliefert. Nebel erläutert in seinem Buch, dass bei der Mirak 2 der obere Teil der Raketendüse rund war. Der Raketenmotor befand sich oben und links und rechts die Tanks für flüssigen Sauerstoff und Benzin.
Diese Beschreibung entspricht auch dem Patent vom 13.6.1931. Von der Mirak 2 existieren Fotos und von der Mirak 3 ist eine Zeichnung überliefert. Die Mirak 2 wurde lange Zeit für Vorführungen genutzt. Willy Ley übermittelte 1943 einen Überblick über Haupttypen von „Flüssigkeitsrakete“. Klaus Riedel baute das neue Modell „Repulsor“, das am 21.7.1933 eine Höhe von 1.500 m erreicht haben soll. Von diese Flugapparat liegen Fotos vor, die auch im Band 1/Teil 2 der Studie enthalten sind. Eine handschriftliche Schilderung hat Joachim Zweiniger hinterlassen und wird von Dr. Günzel veröffentlicht.

Quelle: Zeichnung der Brennkammer aus dem Patent

Anmerkungen

1. Angesichts dieser Berichte über praktische Versuche bei den Junkers-Werken erscheinen die Aussagen von Rolf Engel zumindest als sehr fragwürdig.
2. Rohrwild, Karlheinz; „Die Geschichte der Oberth´schen Kegeldüse“ Artikel vom 11.6.2004
3. Bundesarchiv – R4607-735

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